Ancilla Iuris

Lagen des Rechts
Constellations of Law

Ancilla
Iuris

Futurities of Law

Versuche über die Zukunft des Rechts

Futurities of Law

Toward the Legal Design of the Next Society

Ancilla Iuris 2023
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Abstract

Das Recht der Zukunft steht vor grundlegenden Herausforderungen, die es nicht alleine mit den Mitteln „bewährter“ Dogmatik bewältigen wird. Ebenso wenig kann es sich in methodologischer Hinsicht auf eine vermeintlich unpolitische Hermeneutik oder eine einseitige Anwendung empirischer Methoden zurückziehen. Seine Aufgaben erschöpfen sich nicht in blossen Steuerungs-, Innovations- und Anreizfunktionen, sondern umfassen zudem kritisch-emanzipatorische Funktionen. Methodenreflexion und Rechtskritik – verstanden als Gesellschaftstheorie „im Inneren“ des Rechts – versetzen die Rechtslehre in die Lage, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der gleichzeitigen Zugehörigkeit der Jurisprudenz zum Rechts- und Wissenschaftssystem ergeben. Die künftige Weiterentwicklung der Rechtswissenschaft bedarf daher einer Grundlagenforschung, die den interdisziplinären Anschluss an die geistes- und sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen wahrt und den Anstoss zu aufgeklärter Selbstkritik sowie Selbstreflexion gibt. Nur so – im Ausgang der Jurisprudenz aus ihrer selbstverschuldeten Unkenntnis über ihre gesellschaftlichen Funktionen – vermag sich die Rechtspraxis im juristischen Alltag zu bewähren und der Ungerechtigkeit der Rechtswelt mit eigenem Denken gegenüberzutreten. Solcherart kritisches Rechtsdenken verlangt mehr als ideengeschichtliche Traditionspflege; ihm genügt auch keine empiristische Wirklichkeitspflege. Es muss ihm darum gehen, eine normative Vorstellung von Recht zu entwickeln, offenzulegen und für die Zukunft fortzuschreiben. Die dafür benötigten Reflexionspotentiale schöpft es in gesellschaftstheoretischen Modellbildungen und Methodenentwicklungen. Dabei eröffnet die wechselseitige Auseinander- und Übersetzung rivalisierender Theoriemodelle neue Lernchancen, um Rechtskonflikte nicht zu lösen, aber doch besser zu behandeln. Hier sind es vor allem die juristischen Grundlagenfächer, die mit ihren unterschiedlichen Beobachtungsweisen vielfältig bewegliche Zugänge zu den Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Rechts freigeben und, vor allem in Anbetracht neuer Fälle, für die nötige Variabilität der Wahrnehmungs- und Handlungsoptionen sorgen. Die Zukunft des Rechts liegt in experimentellen Versuchen und Entdeckungsverfahren, in der schöpferischen Suche nach anderen Möglichkeiten und möglichen Realitäten, im kritisch-konstruktiven Kampf ums Recht der Zukunft – als ökologisches Recht zukünftigen Lebens in der nächsten, biodigitalen Gesellschaft.

The law of the future faces fundamental challenges that it cannot overcome merely with “tried and tested” doctrine. Nor can it take methodological refuge in a supposedly apolitical hermeneutic or in a one-sided application of empirical methods. Its tasks are not limited to mere guidance, innovation or stimulating activity, but also critical-emancipatory functions. Methodological reflection and legal criticism – understood as social theory “from within” the law itself – enable jurisprudence to meet the special requirements arising from the fact that jurisprudence is simultaneously part of both the legal and academic systems. The future development of jurisprudence therefore requires a well-founded research approach – one that maintains interdisciplinary links with neighboring disciplines in the humanities and social sciences and provides impulses for enlightened self-criticism and self-reflection. Only in this way – by extricating jurisprudence from its self-inflicted ignorance of its social function – can legal practice assert itself in everyday legal life and counter the injustices of the legal world with its own thinking. Such critical legal thinking requires more than just the continuation of traditions in the history of ideas. Nor can it be exhausted in the mere cultivation of empirical approaches to reality. It must aim to develop, unfold, and write into the future a normative concept of law. It draws its essential reflective potential from social-theoretical modelling and methodological development. In doing so, the mutual confrontation and translation of competing theoretical models opens up new learning opportunities, not to resolve legal conflicts, but to deal with them more rationally. In this context, it is above all the foundational legal subjects which, with their respective approaches and perspectives, open up diverse and flexible approaches to the possibilities and realities of law and, especially in the light of new cases, ensure the necessary variance of options for perception and action. The future of law lies in experimental trial and testing and innovative discovery, in the creative search for alternative possibilities and possible realities, in the critical-constructive struggle for the law of the future – as the ecological law of future life in the next biodigital society.

How to quote this article
Malte-Christian Gruber , Futurities of Law – Versuche über die Zukunft des Rechts, in: Ancilla Iuris (anci.ch) 2023, 1-28.

DOI
http://dx.doi.org/10.26031/2023.001

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